Der Weg durch den Schriften-Dschungel

Welche Schrift von den Millionen, die man im Web bekommen kann, ist denn nun qualitativ hochwertig?
Gerade für Neulinge in Sachen Typografie und Design ist es schwierig, „richtige“ Schriften für das anstehende Projekt ausfindig zu machen.

Deshalb gibt es hier ein paar Wegweiser, mit denen man sich den Weg durch den dichten Font-Dschungel bahnen kann, ohne bei der Studienbewerbung in peinliche Fettnäpfchen zu treten:

1. Die Schrift besitzt nicht nur 26 Buchstaben, sondern zumindest auch Umlaute, Satzzeichen und Ziffern.
Bei den meisten Online-Schriftbiliotheken kann man auf den ersten Blick sehen, welche Zeichen die Schrift beinhaltet, oder einen eigenen Test-Text eingeben, so dass man sehen kann, ob alle benötigten Zeichen vorhanden sind:

(Screenshot von MyFonts.com)

2. Die Konturen der Schriftzeichen sind sauber gezeichnet.
Das kann man sehen, wenn man sich ein Zeichen in einem sehr großen Schriftgrad anschaut, oder in vektorisierter Form.
Um eine Schrift in Vektoren zu sehen, kann man zum Beispiel einen Text in Illustrator tippen, und dann im Auswahlmenü „in Pfade umwandeln“ auswählen:

Wenn die Linien und Kurven eckig, ungleichmäßig und mit vielen Ankerpunkten versehen sind, ist die Form nicht sauber gezeichnet:

Eine sauber gezeichnete Form kann im Detail so aussehen:

(Screenshots aus Adobe Illustrator CS5.1)

3. Die Zurichtung (engl. „Spacing“) der einzelnen Zeichen ist optisch gleichmäßig. Das kann man testen, indem man zum Beispiel das Wort „mininum“ tippt, und feststellt, ob die Abstände zwischen allen Stämmen gleichmäßig sind.

Auch Unterschneidungen (engl. „Kerning“) sollten in die Schrift integriert sein. Das bedeutet, dass bei bestimmten Buchstabenpaare die Abstände zueinander extra programmiert wurden. Typische Buchstabenkombinationen sind zum Beispiel Av, AV, Aw, AW, LT, LV, Ly, Ta, Te, To, Ty, Va, Vo, Ya, Yo. Hier sollte der jeweils zweite Buchstabe durch optischen Ausgleich so verringert sein, dass er gleichmäßig zu allen nachfolgenden Buchstaben oder Zeichen erscheint.

(Schrift: Aller Bold von Dalton Maag (kostenlos!))

4. Gute Schriften verfügen außerdem oft über Ligaturen.
Die sind meistens nötig, wenn Buchstaben fast „zusammenkleben“, wie zum Beispiel bei der Kombination fi. Damit der obere Bogen des f nicht an den i-Punkt stößt, gibt es in vielen Schriften eine fi-Ligatur. Weitere typische Ligaturen sind ff, ft, fi, fl und ffl, doch natürlich kommt es immer auf die Schrift selbt an, ob und wie viele Ligaturen von Nöten sind.

(Schrift: Vollkorn von Friedrich Althausen (kostenlos!))

5. Bei handgeschrieben oder zerstört aussehenden Schriften ist es authentischer, wenn es sogenannte Alternate-Zeichen gibt, die per OpenType-Programmierung automatisch eingesetzt werden, wenn zum Beispiel zwei gleiche Buchstaben aufeinander treffen.

sieht beispielsweise lange nicht so authentisch aus wie

(Schriften: Rollerscript und Mocha Mattari, beide käuflich erhältlich auf myfonts.com)

6. Mit Klassikern kann man (fast) nichts falsch machen.
Große Schriftplattformen bieten Sammlungen mit Klassikern an, wie zum Beispiel FontShops „100 beste Schriften“ oder Linotypes „Assorted Collection“ oder die „GoldEdition“ oder „OpenType Edition“ von verschiedenen Anbietern. Meist kann man sich die beinhalteten Schriften auf einer PDF-Liste anzeigen lassen und die Schriften natürlich auch einzeln kaufen.

„Aber… ich kann doch kein Vermögen für eine gute Schrift ausgeben! Gibt es denn keine guten kostenlosen Schriften?“
Doch, die gibt es natürlich auch, aber man muss bei kostenlosen Angeboten besonders gut aufpassen, um nicht ins Fettnäpfchen zu treten. Dazu am besten alle oben genannten „Erkennungs-Punkte“ durchgehen.
Hier noch ein paar Tipps, wo man (meistens) gute kostenlose Schriften finden kann:
Fontsquirrel → Eine immer größer werdende Sammlung von kostenlosen Qualitätsschriften
• das Smashing Magazine gibt immer wieder Listen von guten Free Fonts heraus, wie zum Beispiel hier.
Free Typography → Auch hier werden regelmäßig neue kostenlose Schriften vorgestellt
• und auch Ben von Typolution probiert immer wieder neue kostenlose Schriften aus, und empfiehlt sie in der Kategorie „Fonts für lau“.
• ☝ Achtung: Gerade unter Laien ist die große Free-Font-Plattform Dafont ziemlich beliebt. Dort tummeln sich allerdings viele schlecht gemachte Schriften, die man nicht blind benutzen sollte. Hier unbedingt genauer hinsehen!

Außerdem wichtig:
Welche Schrift ist angemessen für meinen Zweck?
Das sollte man sich bei der Auswahl einer passenden Schrift schon überlegen.
In Comicsprechblasen wäre zum Beispiel eine klassizistische Antiqua wahrscheinlich eher fehl am Platz. Andersrum ist eine Comicschrift auf einem offiziell anmutenden Dokument wie einer Urkunde absolut unpassend. Dazu dieses kurze Video, bei dem die Schriften von bekannten Filmvorspännen verändert wurden: If Movies Had Crappy Fonts
Klassischerweise ist es so, dass man für längere gedruckte Texte (= Fließtexte) zu Serifenschriften greift, und für Titel und Bildschirmtexte eher Groteskschriften benutzt.
Schriften, die mit dem Betriebssystem mitgeliefert werden, wie zum Beispiel Arial/Helvetica, Times New Roman usw., sind zwar technisch sicherlich nicht schlecht, meist aber schon sehr oft gesehen und irgendwie „überbenutzt“. Wieso also nicht etwas Kreativität wagen und mal was Neues ausprobieren? :wink:

Wer mehr über die Grundlagen von Typografie wissen will, ist mit den Büchern:
Schriften erkennen
Erste Hilfe in Typografie
Wegweiser Schrift
sicher gut beraten.

Sonstige nützliche Links:
What the Font → Online-Tool zum Erkennen von Schriften
typografie.info → deutschsprachiges Forum für Typografie
typefacts.com → Hier werden allerhand nützliche Infos über Schrift und Typografie verständlich und ansprechend vermittelt.

 

 


precore.net dankt carmen für diesen Gastbeitrag

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